Weinkunde - Ein kräftiger Schluck zur Freude ... | © www.pexels.com

Ein kräftiger Schluck zur Freude ...

von DP Ing. Reinhold Holler



Gedanken zum Weinkosten: Was Menschen so einzigartig macht, ist, dass wir uns an dem, was unsere Sinne wahrnehmen, erfreuen können. Ganz besonders der Wein spricht unsere Sinne an. Wie gerne treffen und erfreuen wir uns in angenehmer Gesellschaft, vernehmen Stimmen, das Öffnen von Flaschen, vielleicht sogar das Knallen eines Korkens, das Klingen der Gläser – es hebt unsere Stimmung, obwohl es für den Geschmack des Weines keine Beeinflussung ergibt. Aus den Geräuschen des Weines kann selbst der profundeste Koster nichts herauslesen.

 
Er muss sein Auge einsetzen, um Klarheit, Farbe und Farbtiefe sowie die Viskosität des Weines zu testen. Dazu braucht es möglichst gute Lichtverhältnisse, um zumindest Hinweise auf Sorte, Alter und Reife zu erkennen. Unser ältester und nach wie vor wichtigster Sinn wird über die Nase gespielt.

 
Der Geruchssinn entscheidet sehr schnell über Sympathie oder Antipathie, kann aber nur das erkennen, was er schon einmal wahrgenommen hat. Auf gut Deutsch heißt das: Wir werden nicht mit dem Wissen über den Geruch eines Apfels geboren. Der Geruchssinn ist nicht messbar, aber trainierbar. Es ist nachgewiesen, dass Menschen aus dem ländlichen Raum besser Gerüche wahrnehmen als Mitglieder unserer Gesellschaft aus dem urbanen Siedlungsbereich, weil sie permanent mehr Eindrücke wahrnehmen können. Aus diesem Grund haben Frauen aus dem traditionellen Lebensstil eine deutlich bessere Geruchswahrnehmung als Männer. Durch die Veränderung der Berufstätigkeit von Frauen wird sich dieser Unterschied egalisieren.

 
Der Geruchssinn wird aber auch beim Schmecken benötigt – retronasales Riechen von Stoffen, die zuerst im Mund landen, aufgeschlossen oder verändert werden und dann über die Atemluft in den Nasenraum gespült werden. Viele Überlegungen betreffen die Grundgeschmacksarten. Einstens sprach man von vier (süß, sauer, salzig, bitter), jetzt von fünf, weil man „umami“ als fünften Grundgeschmack hinzugefügt hat.

„Umami“ bedeutet soviel wie „Wohlgeschmack“ und kommt durch die Reaktion der Schleimhäute mit Glutaminsäure zu Stande. Dieses Wissen hat sich die Nahrungsmittelindustrie in Form des „Glutamates“ zu Nutze gemacht. Aber wussten Sie, dass Parmesan besonders reich an natürlichem Glutamat ist? Auch Wein enthält diese natürliche Aminosäure. Was aber noch immer in den Lehrbüchern steht, obwohl überholt, ist die Zonierung der Zunge, die so nicht gegeben ist. Wir können überall abhängig von den „Papillen“ alles wahrnehmen, jedoch zeitverzögert – und so ist die fälschliche Annahme entstanden, dass die Zunge „zoniert“ ist. Wie unvollständig diese Einteilung ist, sieht man, wenn man versucht, Schmerzen wie „scharf“ zuzuordnen. So bleibt der Wissenschaft noch viel zu tun.

 
Schließlich bleibt noch der Tastsinn, der gebraucht wird, wenn man nach einigen Gläsern zu viel den Weg nach Hause oder die richtige Frau sucht. Scherz bei- seite: Der Tastsinn auf der Zunge und am Gaumen kann die Viskosität eines Weines genauso wie die Temperatur oder das Prickeln der Kohlensäure sowie die Adstringenz der Tannine wahrnehmen.

 
Für all das braucht es nach dem Riechen in ein geschwenktes Glas einen kräftigen Schluck Wein, damit der Speichel den Eindruck nicht verdünnt oder gar verändert. Es braucht die Umgebung von Weinfreunden. Die entscheidende Bewertung des Produktes ist auch nicht angeboren, sondern antrainiert und so werden wir noch stundenlang sitzen, schmatzen und schlürfen und auf der Suche nach dem großen Wein bleiben.

 


Beitrag von:

weinblattl.at